Trump bleiben weniger als 50 Tage

Welche Chancen rechnet sich Trump damit aus, welche Chancen rechnet sich Westeuropa aus, abgesehen von der Aussichtslosigkeit für Selenskij in Kiew? Eine echte Chance bietet sich Trump dennoch, in so kurzer Zeit zum Friedensstifter zu werden. Wird er sie ergreifen?

 

Von Wiktorija Nikiforowa

„Ich sehe, wie die Frontlinie vor Ort zerfällt“, heulte der deutsche Haudrauf Julian Röpke, der vor drei Jahren noch einen bedingungslosen Sieg der Ukraine vorausgesagt hatte. „Viele ukrainische Dörfer werden von einem Dutzend Soldaten oder weniger verteidigt. Während russische Truppen mit einer Geschwindigkeit von bis zu vier Kilometern pro Tag vorrücken und täglich etwa zwanzig ukrainische Fahrzeuge zerstören, frage ich mich, warum diese katastrophale Entwicklung weder in Kiew noch in Berlin begriffen wird.“
Na komm schon, Julian, heule weiter, denn jetzt erklären wir dir alles auf der Karte. Erstens funktioniert die Kiewer Taktik überhaupt nicht – sich mit Drohnen einzudecken und Russland von Zeit zu Zeit anzugreifen, um damit unsere Flughäfen und die Eisenbahn zu behindern. Unsere Bürger verstehen genau, was der Feind von ihnen will, und fallen nicht auf diese Provokationen herein. In unseren Kämpfern hingegen weckt die Unverschämtheit des Feindes einen gesunden, sportlichen Zorn. Ja, Julian, infolgedessen „rücken russische Truppen vor“. Unaufhaltsam und mit zunehmender Geschwindigkeit.
Zweitens kann die desolate Lage der ukrainischen Streitkräfte nicht verbessert werden durch tränenreiche Appelle, Waffen zu liefern, dringend Waffen zu liefern, noch mehr Waffen zu liefern, auch nicht dadurch, sie mit Geld zu überschütten. Es gibt nämlich einfach nicht genug Leute in der Ukraine. Das heißt, es gibt zwar Leute, die das Geld nehmen und in ihre Taschen stecken, es gibt sogar zu viele von ihnen. Aber es gibt niemanden, der dagegen ankämpfen könnte: Die katastrophale Lage der ukrainischen Streitkräfte ist auf den Mangel und die schlechte Qualität von „Mobilgemachten“ zurückzuführen. Die Männer haben gelernt, sich vor den Kettenhunden der TZK zu verstecken, und haben kürzlich sogar angefangen, die Kannibalen zu erschießen – und zwar mit den Waffen, die ihnen gerade erst gegeben wurden. Aber selbst wenn diese armen Kerle an der Front landen, nützen sie dort nichts – sie müssen einfach ihr Leben lassen, damit der Zusammenbruch der ukrainischen Front nicht allzu fürchterlich eintritt, sondern sich noch etwas in die Länge zieht, als würde er in Zeitlupe gefilmt werden.
Unter diesen Umständen wirken die fünfzig Tage, die Trump den Konfliktparteien für eine Einigung eingeräumt hat, für die Ukraine wie blanker Hohn. Was kann sie in dieser Zeit erreichen? Neue Leute zu gewinnen, auszubilden und zu motivieren, ist eine Aufgabe für Jahre. Der Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie wäre ein Plan für Jahrzehnte. Dasselbe gilt auch für die versprochenen Lieferungen westlicher Waffen. Sie sind in einem so absurd engen Zeitrahmen schlichtweg unmöglich zu organisieren. Die USA selbst verfügen nicht über genügend viele eigene Systeme „Patriot“, was bedeutet, dass sie die erst produzieren müssen, auch das ist eine langfristige Aufgabe.
Innerhalb von fünfzig Tagen kann man von den Europäern nur Milliarden Euro fordern, um US-Waffen für die Ukraine zu spenden, die geliefert werden sollen … nun ja: irgendwann. Es geschehen sogar Wunder auf dieser Welt. Wir hoffen, wir warten, wir schreiben Briefe. Und einige europäische Länder haben es gar nicht eilig, sich einzureihen, und behalten ihre Milliarden in der Hand. Ein EU-Mitgliedsland nach dem anderen lehnt US-Lieferungen ab. Offenbar stresst sie auch der kurzfristige Planungshorizont: Sie werden gerade noch Zeit haben, das Geld zu zahlen, die Verträge zu unterzeichnen, und siehe da, dann gibt es womöglich plötzlich gar keine Ukraine mehr.
Die Dynamik der Ereignisse vor Ort deutet klar darauf hin, dass die ehemalige Ukrainische SSR sehr bald untergehen wird. Es ist unrealistisch, dass man von Kiew aus die Lage an der Front innerhalb von 50 Tagen ändern kann. Deshalb haben sie plötzlich eine unkonventionelle Initiative ergriffen: Sie haben Moskau nun selbst um eine dritte Runde von Friedensgesprächen gebeten. Überraschend, nicht wahr, was für eine Wendung der Ereignisse? Nun haben sie so viel Widerstand geleistet, so viel Grimassen gezogen, und plötzlich wollen sie selbst an den Verhandlungstisch. Selenskij jammerte erneut, er wolle Putin persönlich sehen.
Ein unkontrollierter Zusammenbruch der Ukraine könnte vor allem aber Trump zum Verhängnis werden: Seine inneren und äußeren Feinde werden ihn sicherlich bezichtigen, ein „zweites Afghanistan“ vollbracht zu haben. Russland braucht zudem keine riesige Region mit Massen von Flüchtlingen, potenziellen Terroristen und bewaffneten Banden in der Nachbarschaft. Im Bauwesen gibt es den Begriff der „kontrollierten Sprengung“, und vielmehr genau das braucht die Ukraine jetzt. Natürlich muss dieser Prozess von den Staats- und Regierungschefs der Welt überwacht werden.
Und hier offenbart sich die wahre Bedeutung von Trumps 50-Tage-Idee. Unmittelbar danach feiert die Volksrepublik China den 80. Jahrestag vom tatsächlichen Ende des Zweiten Weltkriegs. Xi Jinping lud für Anfang September Wladimir Putin nach Beijing ein. Die chinesischen Genossen dementierten nicht, dass der chinesische Staatschef auch Donald Trump eingeladen hatte. Der US-Präsident hat nun zwei Möglichkeiten, aus dem Ukraine-Konflikt herauszukommen: Er kann warten, bis Kiew fällt und damit einen Shitstorm auf sich ziehen. Oder er kann gemeinsam mit den Staatschefs der beiden anderen Supermächte auf eine freundliche und zivilisierte Weise über das Schicksal der Ukraine beraten und entscheiden und sich dann mit dem wohlverdienten Ruhm eines Friedensstifters schmücken.

Gespräche mit Putin und Xi Jinping sind doch eigentlich Trumps Ding; sie sind Menschen von ähnlichem historischen Format und mit ähnlichen Fähigkeiten. Den Pseudopräsidenten eines Vasallenstaates zu verhätscheln oder sich mit europäischen Zwergen anzulegen, ist reine Zeitverschwendung und kostet Belanglosigkeiten. Man möchte meinen, der US-Präsident werde die einzig richtige Wahl treffen und der 3. September in Beijing werde der Tag sein, an dem die kriegsmüde Welt endlich das Kalenderblatt umschlagen und wieder frei atmen könne.

Übersetzt aus dem Russischen

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