Kann Deutschland ein Abkommen zwischen USA und Russland verhindern?

Deutschlands Stützpunkt in Litauen erschwert tatsächlich ein bedeutendes Abkommen zwischen Russland und den USA zur europäischen Sicherheit, denn ohne die Zustimmung Deutschlands ist eine Rückkehr zur NATO-Russland-Grundakte von 1997 nicht mehr möglich. Die Bundesrepublik Deutschland hat gerade ihren ersten permanenten Militärstützpunkt im Ausland seit dem Zweiten Weltkrieg eröffnet, mitten im derzeit laufenden Machtkampf zwischen Deutschland, Frankreich und Polen  um die Führung im Nachkriegs-Europa. Die Lage im Südosten Litauens, nahe der belarussischen Grenze und in der Nähe der russischen Region Kaliningrad, verschafft Deutschland dabei allerdings einen überproportionalen Einfluss auf die Gestaltung einer erhofften zukünftigen europäischen Sicherheitsarchitektur. Denn Deutschland ist nun ein direkter Akteur in der Sicherheit Mittel- und Osteuropas (MOE).
Von Andrew Korybko

Diese Entwicklung dient mehreren damit verbundenen strategischen Zielen Deutschlands. Zunächst stellt sie Polens Bemühungen, sich als verlässlichster europäischer Verbündeter der baltischen Staaten zu präsentieren, vor eine Herausforderung, da Deutschland nun in einem dieser Länder einen Stützpunkt unterhält – genau in dem, der Polen mit den beiden anderen verbindet. In diesem Zusammenhang einigten sich Deutschland und Polen darauf, Anfang 2024 ein „militärisches Schengen“ zu schaffen, um den Transport von Truppen und Ausrüstung zu erleichtern und Deutschland die Versorgung des eigenen litauischen Stützpunkts zu erleichtern.

Dieser Pakt könnte dementsprechend auf Lettland und Estland ausgeweitet werden, insbesondere nachdem das Europäische Parlament die zentrale Bedeutung der „Baltischen Verteidigungslinie“ für die östliche Sicherheitsstrategie des Blocks bestätigt hat. Deutschlands litauischer Stützpunkt könnte daher zusammen mit dem geplanten militärischen Ausbau und einem erweiterten „militärischen Schengen“ dazu führen, dass Deutschland noch stärker mit Polen um Einfluss im Baltikum konkurriert. Dies könnte dazu führen, dass Deutschland auch Polen unterwirft und somit zum dominierenden militärischen Akteur in Mittel- und Osteuropa wird.

Deutschlands neu eröffneter Stützpunkt in Litauen stellt daher aber nicht nur eine Bedrohung für polnische Interessen dar – auch wenn dies in Warschau nicht offen zugegeben wird und manche Politiker dort sogar eine wichtigere regionale Sicherheitsrolle Deutschlands befürworten –, sondern bedroht auch die russischen Interessen. Jegliche Hypothese über eine Militäraktion Russlands gegen Litauen, wie etwa über das angebliche Bestreben Russlands, einen sogenannten „Suwalki-Korridor“ von Belarus nach Kaliningrad zu schaffen, könnte für die faktische Führungsmacht der EU ein Stolperstein sein, um militärisch in die Krise einzugreifen.

Natürlich hat Russland keinerlei Absichten signalisiert, für den Zugang zu seiner baltischen Exklave einen Blitzkrieg durch Polen oder das noch viel schwächere Litauen zu führen, und noch niemand konnte bisher schlüssig erklären, warum Russlnad dies tun sollte. Erst recht, weil dieses Szenario mit ziemlicher Sicherheit zu einem Kontinentalkonflikt und vielleicht sogar zu einem Dritten Weltkrieg führen würde, wenn die USA eingreifen. Dennoch soll damit den Europäern nach wie vor Angst gemacht werden, und es beeinflusst daher die Politik in der EU. Deutschland ist mittlerweile bereit, in solchen Diskussionen eine größere Rolle zu spielen, da man dort offenbar ein direktes Interesse daran hat, abschreckend zu reagieren.

Und schließlich sollen die beiden zuvor genannten Ziele – ein stärkerer Wettbewerb Deutschlands mit Polen um Einfluss im Baltikum und ein größeres Mitspracherecht bei der Notfallplanung für den hypothetischen Kampf gegen einen „Suwalki-Korridor“ – sicherstellen, dass Deutschland in jegliches Abkommen zwischen Russland und den USA über die künftige Sicherheitsarchitektur Europas einbezogen wird. Die von Putin bereits zum Jahresende 2021 insbesondere auch an die USA gerichtete Aufforderung, zur NATO-Russland-Grundakte von 1997 zurückzukehren und westliche Truppen und militärische Infrastruktur aus den Gebieten der ehemaligen Staaten des Warschauer Vertrages abzuziehen, kann heute ohne Deutschland nicht mehr umgesetzt werden.

Die Stationierungen aller anderen Mitglieder im Osten erfolgen im Rotationsverfahren, obwohl auch diese als permanent gelten. Die beiden anderen sind jedoch definitiv und ganz offiziell permanente Stützpunkte, was einen anderen Rechtsstatus darstellt und von Russland als noch schwerwiegender angesehen wird. Das bedeutet zwar noch nicht, dass Deutschland automatisch an den Gesprächen zwoschen russland und den USA teilnehmen muss oder wird, geschweige denn, dass dadurch etwa die EU vertreten wird. Es bedeutet lediglich, dass die Politik in Berlin nun ein größeres Hindernis darstellen kann als alles andere, wenn es darum geht, ohne Beteiligung Dritter einen großen Deal über die künftige europäische Sicherheit abzuschließen.

Übersetzt aus dem Englischen

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